Blutgericht zu Cannstatt und die Herzöge von Alemannien

Im Jahr 746 ließ ein fränkischer Herrscher den alemannischen Adel in einer einzigen Nacht einsperren und eliminieren. Die Tat ging als Blutgericht zu Cannstatt in die Geschichte ein. Er verstieß mit der Gewaltakt gegen das mittelalterliche und althergebrachte Recht, aber er brach den alemannischen Widerstand in Gänze.

Das düstere Mittelalter war eine brutale Zeit. Aus dem Kampf der Völkerwanderung gingen die kriegsfreudigen Germanenstämme hervor. Die Alemannen siedelten sich im vormals Römischen Reich rund um den Bodensee an und die Franken zogen westwärts ins heutige Frankreich. Die beiden Stammesverbände trennte vor allem die Stammeszugehörigkeit. Ihre Kultur, ihre Sitten und Gebräuche waren zunächst sehr ähnlich. Im Laufe der Zeit drifteten sie auseinander. So führten die Franken beispielsweise den Erbadel ein und übernahmen im Gegensatz zu den Alemannen das Christentum. Der Anführer der Franken, Chlodwig I., soll aus Dank über den Sieg über die Alemannen zum Christentum konvertiert sein. Und gemäß der Zeit klärte man die Fragen auf dem Schlachtfeld. Die Franken besiegten die Alemannen letztlich im Jahr 507 nach mehreren Schlachten wie in Straßburg oder Zülpich.

Mittelalterliche Gerichtshof. KI-generiertes Bild
Mittelalterliche Gerichtshof. KI-generiertes Bild

Das Geschlecht der Merowinger saß auf den fränkischen Königsthron, dessen Hausmeier (Karolinger) eines Tages die Macht übernahmen, sodass die Merowinger nur noch als Marionetten dienten. Das gelang ihnen, weil sie als Hausmeier (Verwalter) waren und das operative Geschäft leiteten. Die Merowinger waren im 8. Jahrhundert bereits seit Generationen nur noch nominell die Könige.

Ein politisches Vorgehen, das sich durch die Jahrhunderte der Karolinger zog, ist die zentrale Gewalt der Macht. Die Alemannen waren dagegen eher lose strukturiert – einen König hatten sie beispielsweise gar nicht. Das war wohl ein Grund dafür, dass sie militärisch unterlagen. Die Franken hingegen spiegelten die Struktur der Kirche mit einem Mann an der Spitze, der alle Macht bündelte. Daher spielten die Herzöge eine untergeordnete Rolle.

Theudebald und die alemannischen Aufstände

Nach dem Sieg der Franken über die Alemannen hatte der alemannische Adel nicht mehr viel zu sagen. Das Gebiet wurde jedoch nur lose ins Frankenreich integriert, denn es wurde quasi treuhänderisch von den Goten übernommen, die zuvor die Schutzmacht stellten. Nach und nach näherten sich die Kulturen wieder an, was nicht zuletzt durch die militante Christianisierung erreicht wurde.

Die Herzöge Alemanniens hatten nur begrenzten Machtumfang. Der Herzogstitel kam ursprünglich als Anführer in Kriegen, denn der Herzog führte das Heer an – er zog vor dem Heer in die Schlacht. Seitdem die Franken das Recht bestimmten, war der Herzogstitel vererbbar.

Nicht alle Adeligen waren den Franken feindlich gesinnt – im Gegenteil. Sie fanden sich damit ab, womöglich auch deshalb, weil sie ihren Titel vererben konnten. Das Land der Insel Reichenau wurde von dem alemannischen Herzog Gonzo gestellt und von den Karolingern als Schutzmacht mit dem Kloster Reichenau versehen. Der Baustil ist noch heute mit den Karolingern verbunden.

Aber einigen Adeligen waren die fränkischen Fesseln zuwider, obwohl man sich im Laufe der Zeit immer mehr Freiheiten nahm. Es gab zwar keinen König, aber der Herzog füllte diese Lücke auf. Allerdings immer von fränkischen Gnaden.

Und das brachte den alemannischen Herzog auf. Seit 709 war der alemannische Herzog Theudebald, Sohn des früheren Herzogs Gotfrid. Sein Bruder war gleichfalls Herzog in Alemannien und hießt Lantfrid. Die Gebrüder zeichnete ein Hass auf die Besatzer aus Franken aus, den sie schon von ihrem Vater erlernten. Als er 709 starb, übernahm Lantfried den nördlichen Teil und Theudebald den südlichen Teil Alemanniens. Gotfried war mit der Tochter des Herzogs der Bajuwaren (späteren Bayern) verheiratet, sodass er auch dieses Amt ausübte.

Der Vorwand für einen Aufstand gegen die Franken könnte formeller Natur gewesen sein. Vielleicht wollte sich der alemannische Herzog nicht dem Befehl eines Hausmeiers unterwerfen. Schließlich hatten sie den Treueeid, den mittelalterlichen Vertrag des Vasallentums, dem König und nicht seinem Handlanger geleistet. Der Eid war nicht nur bindend, sondern könnte der Grund für die bedingte Autonomie gewesen sein. Offenbar waren sie dennoch nicht dem Kriegsdienst verpflichtet, womöglich weil man ihrer Loyalität nicht sicher sein konnte. Die Franken führten doch häufig Krieg wie gegen die heidnischen Sachsen. Um dem Kriegsdienst zu verweigern, haben einige Adelige in Franken sogar ins Lager der Unfreien gewechselt.

Im Jahr 722 und 723 führen die Karolinger einen Feldzug gegen Theudebald und können ihn kurzzeitig vertreiben. Aber die Franken konnten damit nur den südlichen Teil von Alemannien befrieden. In diesem Abschnitt gründete man unter dem Schutz der Karolinger ein Kloster. Es war das Kloster Reichenau im Jahr 724. Das war der Anlass für Theudebald, die Flammen des Aufstands in Alemannien zu entfachen. Noch im Gründungsjahr machte Theudebald Jagd auf die Mönche und vertrieb den Abt Pirmin. Den Grund dafür geben die mittelalterlichen Urkunden preis: Es war der Hass auf Karl, gemeint war der Hausmeier Karl Martell. Auch Pirmins Nachfolger, Abt Heddo vertrieb Theudebald noch im selben Jahr aus dem Kloster Reichenau.

Im Jahr 730 mobilisierte der fränkische Herrscher abermals seine Truppen und marschierte gegen die beiden Herzöge, wobei Lantfrid sein Leben auf dem Schlachtfeld aushauchte. Das war ein herber Rückschlag für den Freiheitswillen des Bruders. Aber zwölf Jahre später sah er seine Chance für eine Revanche gekommen. Der verhasste Karl Martell starb.

Theudebald versicherte sich der Unterstützung der verwandten Bajuwaren und verbündete sich mit den Vaskonen (Basken) und den Sachsen. Mit einem geballten Heer zog Theudebald im Elsass gegen die Karolinger auf. Doch die Entscheidungsschlacht 743 endete mit dem Sieg der Franken. Es dauerte nur drei Jahre, bis es wieder einen Aufstand gab.

Es war wohl der Moment gekommen, für Ruhe zu sorgen. Also schmiedete Karlmann, der Sohn von Karl Martell, einen Plan, den Alemannen ein für alle Mal den Gar auszumachen. Dafür bediente er sich der List und vor allem der Heimtücke. Er brach damit das anerkannte Recht.

Blutbericht zu Cannstatt und das Nachspiel

Kurz bevor der merowingische Schattenkönig sein Leben aushauchte, lud der Hausmeier im Namen des Königs zu einem Thing nach Cannstatt im Land des getöteten Lantfrid. Ein Thing war eine Art Parlament, auf dem man sich diplomatisch einigen konnte. Things unterstanden dem alten Recht. Hier galt der Verzicht auf Kämpfe, Gewalt oder gar Blutvergießen. Gewalt war auf Things, ähnlich dem olympischen Frieden, geächtet.

Mit was genau Karlmann den alemannischen Adel anlockte, ist nicht überliefert. Vielleicht schwangen Versprechungen mit? War der Tagungsort im nördliche Alemannien, das zum Gebiet des getöteten Herzogs Lantfried gehörte, ein Friedenszeichen? Es lässt sich nur spekulieren, warum die alemannische Elite der Einladung folgte.

Aber dem Ruf, vermutlich nach Altenburg in Cannstatt, folgten mehrere Hunderte oder sogar Tausende Adelige samt Gefolge aus ganz Alemannien. Offenbar war alles vertreten, was Rang und Namen hatte. Doch der wahre Anlass für die Versammlung war ein Gerichtstermin und die alemannischen Adeligen waren die Beklagten. Der Vorwurf lautete Hochverrat und darauf stand der Tod. Keiner soll dieser Nacht der langen Messer entkommen sein. Sie wurden alle hingerichtet oder, so könnte es auch abgelaufen sein, sie wurden alle in einer Nacht gemeuchelt.

Mit dem Tod der alemannischen Elite war der Widerstand im Jahr 746 mit einem Schlag ausgeschaltet. Karlmann erklärte sich anschließend zum Herrscher. Alemannien war nun ein Teil des Frankenreichs geworden. Bis ins 10. Jahrhundert hinein wird es kein Herzogtum Alemannien geben und dann spricht man eher vom Herzogtum Schwaben.

Der kaum noch nennenswerte alemannische Adel wurde schnell christianisiert. In einigen Klöstern bildeten sich dann Netzwerke für den hinterbliebenen Adel. Das Kloster St. Gallen war ein solcher Hort, da die Mönche selbst aus der Gegend waren. Um der Enteignung durch die fränkischen Herrscher zu entgehen, vermachte der alemannische Adel diesen Klöstern ihren Besitz. Sie erhielten ihn als Lehen zurück, sodass die Rechtsverhältnisse unantastbar waren. Das ist einer der Gründe, warum große Teile Oberschwabens dem Kloster St. Gallen gehörten.

Alemannien wurde mit zwei Grafen bedacht, die im Dienste der Franken handeln sollten: Warin und Ruthard. Letztere sind die Vorfahren der Welfen, die Oberschwabens Geschicke für Jahrhunderte lenken werden.

Karlmann wurde wiederum von seinem Bruder Pippin – der Vater von Karl dem Großen – ausgestochen, der ihn ins Kloster schickte. So entledigte man sich der unliebsamen Verwandtschaft in jenen Tagen.

Rund 100 Jahre später, im Jahr 843, teilte sich das Frankenreich in drei Teile. Im Osten entstand das Ostfrankenreich und bildete die Keimzelle des späteren Deutschlands. Aus Alemannien wird im 9. Jahrhundert Schwaben, denn die Suebi ziehen verstärkt in das Land.

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