Einerseits war Franz Ludwig Schenk von Castell seiner Zeit voraus, andererseits machte er ein Geschäft aus der Hinrichtung von Straffälligen vor der Zeit Napoleons. Werfen wir ein Licht auf diesen Mann, der von seinen Zeitgenossen als Malefizschenk betitelt wurde.
Oberschwaben war im 18. Jahrhundert in unterschiedliche Territorien zersplittert, welche von ganz verschiedenen Akteuren beherrscht wurden. Weite Teile des zentralen Oberschwabens unterstanden der Landvogtei Schwaben in Altdorf (Weingarten), andere Bereiche verwalteten die späteren Oberämter Günzburg oder Stockach. Ansonsten hatten vor allem die Klöster Besitzungen in Oberschwaben. Einzig die Reichsstädte, die direkt dem Kaiser unterstanden, atmeten etwas freier in dieser Zeit der beginnenden Aufklärung. Der Barock stand in voller Blüte, der heute noch die ganze Region verzaubert. Allerdings war dieser Zauber, der die Menschen vom Protestantismus zurück zum Katholizismus bringen sollte, kostspielig. Die Rechnung übernahmen natürlich die Ärmsten, wie es während des Mittelalters zur Tradition wurde. Das soziale Netz war dabei sogar noch gelockert worden und die Armut grassierte wieder einmal in Oberschwaben. In der Konsequenz stiegen die Verbrechen, vor allem Diebstahl war in Oberschwaben weit verbreitet. Eine der schillerndsten Figuren dieser Zeit ist aus heutiger Sicht der Schwarze Vere. Doch seinerzeit gab es etliche Sackgreifer und Beutelschneider, wie man Diebe bezeichnete. Und auch das zarte Geschlecht griff zum Überleben in den Sack eines Reichen oder schnitt den am Gürtel hängenden Geldbeutel ab.
Wenn die Diebinnen und Diebe verfolgt wurden, entwischten sie den Häschern oftmals in das benachbarte Herrschaftsgebiet. Dort stand Diebstahl zwar unter derselben Strafe, doch die Gerichtsbarkeit hatte ein anderer Herrscher inne. Das Recht, Gericht zu halten, war wie die Ländereien zersplittert. Diese Situation erschwerte die Ahndung der Eigentumsdelikte. Die kleineren Adelsbesitzungen hatten erst gar nicht die Mittel für eine Strafverfolgung. Es ist anzunehmen, aber kaum zu belegen, dass Diebstahlsdelikte in dieser Zeit der Armut drastisch anstiegen. Im Jahr 1800 konnte der badische Strafvollzug über 3.000 Personen nennen, die des Raubs oder des Diebstahls überführt wurden. Das entspricht 0,3 Prozent der Bevölkerung Badens, wo zu dem Zeitpunkt rund eine Million Menschen lebten. Diese Diebesleut aber stahlen zuvorderst beim reichen Adel. Bei der großen Mehrheit der Menschen war kaum was zu holen und wenn, dann eher Mundraub. Ein Begriff, der aus dieser Zeit stammt. Er beschreibt den Diebstahl einer geringen Menge Lebensmittel zum Eigenbedarf.
In der Konsequenz der steigenden Verbrechensrate kam ein findiger Adeliger auf eine Geschäftsidee. Franz Ludwig Schenk von Castell entwickelte ein kommerzielles Strafsystem, welches er im Auftrag und gegen Entgelt für andere Herrscher ausübte. So wurde aus dem Schenken von Castell der Malefizschenk.
Malefizschenk Franz Ludwig Reichsgraf Schenk von Castell
Geboren wurde der Reichsgraf im Jahr 1736 und er starb 1821 in demselben Oberdischingen zwischen Erbach und Ehingen, in dem er das Licht der Welt erblickte. Der Schenk war ein höfischer Titel, der ursprünglich bedeutete, dass er der Oberkellner des Königs sei. Ein Schenk genoss hohes Vertrauen, denn giftige Getränke stellten im hohen Mittelalter eine gängige Attentatsvariante dar. Im 18. Jahrhundert war der Titel nurmehr Formsache.
Sie kamen ursprünglich von der Burg Kastel in der Schweiz und stellten in der Historie beispielsweise einen Bischof von Konstanz und einen Abt von Reichenau oder einen Fürstabt von St. Gallen. Als Schenken gehörten sie dem Hochadel an, genauer: dem Hofadel der Staufer. Ab dem 17. Jahrhundert beherrschten sie auch Teile Oberschwabens. Dazu gehörte auch Gutenstein, Schelklingen, Altheim oder Hausen Im Tal. Der Adel von Castell erlosch übrigens im Jahr 2004.
Als Franz Ludwig 1765 die Herrschaft übernahm, begann er seine Residenz auszubauen, die mittels einer Allee zum zentralen Punkt des Herrschaftsgebiets wurde. Außerdem erbaute er verschiedene Dienstgebäude und ein Gefängnis. Dieses Zuchthaus wurde 1788 errichtet und offiziell Fronfeste genannt. Die Kirche wurde ab 1800 gebaut, als der Henkersgraf bereits sein Geschäft betrieb.
Das Gefängnis war in Hufeisenform angelegt, sodass es gut einsehbar und stabil war. Die Insassen der untersten Klasse mussten sich die Zellen zu sechszehnt bzw. zu achtzehnt teilen. Höhere Klassen hatten mehr Platz. Die zur Besserung Erwogenen wurden in Blockhäusern untergebracht. Neben den Repressionskräften gab es auch Räumlichkeiten für die Justiz, Ärzte und die Versorgung.
Der Malefizschenk hatte die oberste Gerichtsbarkeit auf seinem Terrain inne. Ob er das Zuchthaus zum Zwecke der kommerziellen Strafverfolgung errichtete oder eben deshalb zum Malefizschenken wurde, ist nicht abschließend geklärt.
Fest steht, dass Franz Ludwig mit 63 Jahren zum Malefizschenken wurde. Der volkstümliche Name ist eine Kombination des lateinischen Begriffs Malefiz, der ‚böse Tat‘ bedeutet, und dem höfischen Titel Schenk.
Malefizschenk Castell beginnt die Strafverfolgung
Seine Karriere als Richtinstanz und Strafvollzug in einer Person begann 1788. Zu seinem Kundenkreis gehörte die Adels- und Kirchenelite dieser Tage. So übte er Strafrache an Dieben und Diebinnen aus fast 140 Territorien. Dazu zählten beispielsweise die Königreiche Bayern und Württemberg sowie die Reichsstädte Biberach, Ulm, Pfullendorf, Überlingen, die Schweizer Kantone und der Ritterkanton Donau. Der Malefizschenk inhaftierte die Missetäter*innen, führte den Gerichtsprozess gegen sie und ließ das Urteil ausführen, das nicht selten den Tod bedeutete.
Seine erste Delinquentin war die Elisabetha Gaßnerin, die im Volke als ‚Schwarze Lies‘ bekannt war. Sie griff illegal in Säcke und stahl, was sie tragen konnte. Als Wiederholungstäterin trug sie den Titel Erzdiebin, der von der Schweiz über die Schwäbische Alb bis zur Donau hallte. Sie beging die legendärste Tat ihres Lebens, als sie ausgerechnet den Malefizschenken um 1.700 Gulden erleichterte, was heute umgerechnet etwa 17.000 Euro wären. Die Tat fand zudem in der Hofkapelle am Hof in Ludwigsburg statt. Insgesamt wurden ihr Diebstähle im Wert von umgerechnet 58.590 Euro nachgewiesen.
Da Württemberg seine Täter an den Malefizen überstellte, wurde der Bestohlene zum Richter in der Sache. Aus Befangenheit holte der Reichsgraf ein Gutachten ein. Die württembergischen Juristen rieten zur Todesstrafe durch den Strick. Doch der Malefizschenk ordnete Enthauptung an, was ihm aufgrund der geringeren Qual als gnädige Tat ausgelegt wird.
Doch die Schwarze Lies gab an, sie trüge ein Kind unter ihrem Herzen. Dies bedeutete zwar keinen Straferlass, aber zumindest verlängerte es ihr Leben um neun Monate. Fachkundige Hebammen fanden keine Hinweise auf eine Schwangerschaft, dennoch wartete man die neun Monate ab. Das Urteil vollstreckte Xaver Vollmer nach Ablauf der Zeit mit dem Schwert. Er und sein Sohn brachten von 1789 bis 1808 rund 40 Menschen in den Tod, die Schwarze Lies und andere dieses Jahres noch nicht mitgerechnet.
Obwohl der Henker im Mittelalter keinerlei Prestige besaß, nur am Rande der Siedlung geduldet war und auch im Wirtshaus alleine saß, waren seine Hinrichtungen sensationelle Ereignisse, die die Massen nach Oberdischingen brachten. Da gab es nicht nur Todesurteile, sondern auch Leute am Pranger und eine Feierstimmung.
Der moderne Malefizschenk?
Der Grund, warum man in ihm einen modernen Mann sah, lag in der Abänderung von Todesstrafen zu lebenslanger Haft. Das überlegte sich der Malefizschenk in 20 Fällen aber bis zuletzt, sodass den Strafenden der Tod bereits zu Gesicht stand. In einem Fall, man könnte hier von Willkür sprechen, begnadigte er Victoria Eisenmännin. Der Grund ist nicht überliefert, aber ihr Kosename verrät eine ihrer Eigenschaften: „Schöne Victor(ia)“. Später erlangte sie sogar die Freiheit.
Dennoch muss man ihm zu Gute halten, dass er die ersten Wellen der Aufklärung in sich aufgesaugt hat. So spielte er mit dem Gedanken, dass sich die Menschen durch Erziehung ändern können. In der Konsequenz übernahm er die Erziehung des Sohns des von ihm hingerichteten Matthäu Eggers, der später Jäger und Forstknecht in Gutenstein wurde. Man überlege sich, dass er dem Mörder seines Vaters dienen musste.
1804 zeigte sich die ungnädige Seite der Aufklärung, der auch der Malefizschenk folgte. Als der Strick des Walderlieselhannes riss, hätte ihn das in anderen Gegenden vom Galgen geholt. In einem gläubigeren Umfeld hätte das ein Gottesurteil bedeutet, sodass man ihn hätte freilassen müssen. Und obwohl das angereiste Publikum eine Begnadigung forderte, wurde das Urteil schlicht am nächsten Tag vollstreckt – dieses Mal erfolgreich.
Das Ende des Malefizschenken
Die Zeit der Napoleonischen Kriege brach an und die Ideen der Aufklärung kamen mit den französischen Truppen zur bürgerlichen Welt, welche als Bourgeoisie die Macht ergreifen werden. Der Adel war zwar noch nicht entmachtet, aber die von den französischen Truppen umgesetzte Säkularisierung bedeutete das Ende der kirchlichen Vorherrschaft.
Der Malefizschenk, der mutmaßlich auch Freimaurer war, wurde auch von den französischen Truppen überrannt. Als sie im Mai 1800 in die Region kamen, öffneten sie die Tore des Zuchthauses, doch der Reichsgraf machte weiter.
Ab 1806 kam es zu einer Neuordnung und diese sah vor, dass die Reichsstädte und Reichsgrafschaften, die bisher ausschließlich dem Kaiser unterstanden, nun unter den jeweiligen Königen (von Württemberg oder Bayern) oder dem Großherzog (von Baden) standen. Dazu zählte auch der Reichsgraf Schenken von Castell. Seine Gebiete lagen nun auf dem Gebiet des Königreichs Württemberg.
Der König von Württemberg war Friedrich I. Ein König von Napoleons Gnaden. Er untersagte dem Grafen ein Jahr später die Strafverfolgung, die nun ihm unterstand. Er hatte mit der Mediation auch die Gerichtsbarkeit erlangt und installierte eine zentrale Staatsgewalt: das Württembergische Landjägerkorps.
Der Malefizschenk wollte sich damit aber nicht abfinden und wehrte sich juristisch gegen den König von Württemberg. Auch damals waren die Anwalts- und Gerichtskosten gesalzen, aber der Schenk wollte nicht aufgeben und verursachte enorme Finanzlasten. Er verlor einen Prozess nach dem anderen.
Physisch verlor er im Juni 1807 auch sein Schloss, denn er hatte sich mit seinem Strafvollzug nicht nur Freunde gemacht. Ein auf Rache gesinnter Mann zündete das Schloss so gründlich an, dass es gänzlich niederbrannte. Leider vernichtete der Rächer nicht nur das Gebäude, sondern auch das gesamte Archiv. 1808 endete die Ära des Malefizschenken und seines Geschäfts.
Der inzwischen mittellose Graf zog nun selbst in das Gefängnis, das ihn die Jahrzehnte hinweg genährt hat und ihm die Macht über so viele Menschen gab. Sorge und Angst vor weiteren Rachetaten ließen ihn nicht ruhen. Die kriminalistische Leidenschaft des Malefizschenken vertrieb auch seine Frau, sodass er im Jahr 1821 allein in den ehemaligen Gefängnismauern starb.
In den Legenden über ihn, den Fasnetsfiguren der Narrenzunft Oberdischungen lebt sein Lebenswerk weiter.
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