Der Reichsgraf Franz Ludwig Schenk von Castell, alias Malefizschenk, wurde als Recke beschrieben, der gerecht aber hart die Zügel führte. Betont wurden vor allem seine große Nase, das rote Haar und sein Durchsetzungsvermögen. In den alten Geschichten wird der Verbrecherjäger als patenter Held dargestellt, der todesmutig der Gerechtigkeit zur Geltung verhilft. Dieses überhöhte Bild des Reichsgrafen wird ihm nicht gerecht. Er machte mit seinem Ansatz einen Schritt in Richtung Aufklärung, dennoch kann man ihm rund 60 Todesurteile zur Last legen – oftmals wegen Diebstahls. Und die Aufklärung wird ihn selbst zerbrechen.
So mögen die Geschichten über ihn zunächst ins rechte Licht und vor den zeitlichen Hintergrund gerückt sein. Denn er agierte in einem Umfeld, das von Armut und Hunger, nicht enden wollenden Kriegen und mittelalterlichen Strukturen gezeichnet war. Die meisten Menschen haben nicht genug zu Essen, geschweige denn ein Dach über dem Kopf. Nur Adel und Geistliche leben gut in einer Zeit, die man als Barock kennt.
Oberschwaben war zum Ende des 18. Jahrhunderts zersplittert in diverse kleinere und größere Gebiete. Sie wurden von Adelshäusern, der Kirche mit Klöstern und freien Reichsstädten beherrscht. Und alle Herrscher verfügten über die Niedrige- oder auch die Große Gerichtsbarkeit auf ihrem Terrain.
Das Justizsystem entstammte dem Mittelalter und war schon im 18. Jahrhundert überholt, da sich eine neue Epoche abzeichnete. Das Mittelalter sollte allmählich der beginnenden Moderne weichen. Ein Prozess, der noch immer nicht ganz abgeschlossen ist. Menschenrechte, soziale Fragen und die Vorrechte von Adel und Kirche standen zur Disposition. Die Französische Revolution lag schließlich bereits ein Jahrhundert zurück.
Die Strukturen des Mittelalters zu ändern war schwer, denn diejenigen, die die Macht hatten – Adel und Kirche – wollten sie nicht hergeben. Aber bezüglich der Strafverfolgung waren viele Herrscher überfordert. Wie sollte beispielsweise ein kleiner Adeliger mit kleinem Gelände ein Zuchthaus aufbauen und einen Scharfrichter stellen. Die Zeiten waren gewiss nicht rosig. Der Barock, der uns diese herrlichen Kirchen hinterlassen hat, war das Zeitalter des Pauperismus, das sich vom lateinischen ‚pauper‘ ableitet und arm bedeutet.
Die Eliten, die das Rad der Zeit anhalten wollten, standen vor einem Heer an Armut. Der Hungertod war nicht die Ausnahme, während Kirche und Adel reich wie nie waren. Folglich wollten sie keine Veränderungen, die aber dennoch kommen würden.
Die Armut produzierte Kriminalität und das betraf vor allem den wohlhabenden Adel und die reichen Klöster. Der konservative Geist kannte schon damals nur das ‚Harte Durchgreifen‘. Auf Diebstahl, vor allem von Kircheneigentum, stand die Todesstrafe. Und so hängten viele Galgenvögel, getrieben von Armut und Hunger, in den oberschwäbischen Stricken. In ganzen Banden kamen Verzweifelte zusammen, um sich auch nur etwas zu Essen zu stehlen.
Die Bande des Schwarzen Veri ist bis heute vielen Menschen ein Begriff. Doch es gab sehr viele Banden in Oberschwaben. Sie nutzten das mittelalterliche System aus. Denn sie stahlen beim Grafen ABC und türmten ins Gebiet des Grafen XYZ. Beim Grafen XYZ stand zwar dieselbe Strafe aus, doch wusste dieser zum einen nichts von deren Tat oder deren Aufenthaltsort und zum anderen hätte er sich selbst auf die Suche machen müssen. Die Verfolger des bestohlenen Beispielgrafen ABC konnten den Dieben nicht auf das Herrschaftsgebiet des Grafen XYZ folgen.
Vor diesem Hintergrund bekam der Reichsgraf Franz Ludwig Schenk von Castell Gelder und baute in Oberdischingen ein Zuchthaus, Wirtschafts- und Krankenräume sowie Unterkünfte für das Personal. In der Nähe seines Schlosses wurden Delikte geurteilt und bestraft. Weil er sich mit ‚Malefizbuben‘ beschäftigte, wurde er zum Malefizschenken. ‚Schenk‘ ist übrigens ein Adelstitel. Seine Kunden waren die umliegenden Reichsstädte, Abteien und Adelsländereien. Die straffällig gewordenen Männer und Frauen wurden gegen bare Münze an den Malefizschenken überstellt, wo sie ihrer Verurteilung und Bestrafung entgegensahen. Die Todesstrafe fiel in seinen Mauern etwa 60 Mal. Er hat sogar Diplome für Scharfrichter ausgestellt, ob sie den Kopf mit einem Hieb entfernen können oder nicht. Einige der Insassen verkaufte er gegen Barschaft ans Militär für den Kriegsdienst. Manch einer entfloh der Armee und saß wieder in Oberdischingen ein. 1804 verkündete ein Todgeweihter, dass keine Strafe ihn von der Verbrecherkarriere abgehalten hätte, wohl weil er stattdessen stoisch auf den Hungertod gewartet hätte.
Zuweilen urteilte er auch gnädig. Es wurde ihm nachgesagt, er habe die Zeichen der Zeit erkannt – aber gewiss nicht gelebt. Er machte zaghafte Schritte in diese Welt, die von einem Menschenbild ausging, das nicht mehr vorherbestimmt, sondern als veränderlich angesehen wurde. Kein Mensch wird ‚böse‘ geboren. Das neue Menschenbild der Aufklärung äußerte sich beim Reichsgrafen auch darin, dass er zuweilen mild urteilte, dass er die Kinder der Hingerichteten versorgte, sie unterrichten ließ und in Brot und Stellung brachte. Andere begnadete er und nahm sie auf seine Lohnliste als Häscher. Lauterbacher und der Bayreuther, benannt nach ihren Herkunftsstädten, sind die bekanntesten von ihnen. Eine Frau begnadigte er auf dem Schafott, womöglich ihrer Schönheit wegen. Die ‚Schöne Viktor’ wurde Köchin am Hofe des Malefizschenken, dessen Frau ihn wegen dem kriminellen Gesindel verlassen hatte.
Hinrichtungen in Oberdischingen
Der Reichsgraf Schenk von Castell lud zum öffentlichen Gemetzel, das Zeitgenossen als langjährige Blutorgie beschrieben. Die Darstellung von Macht hatte die Absicht abzuschrecken, doch tatsächlich hatten diese Hinrichtungen einen Festcharakter. Inmitten des Getümmels der Menschen ertrugen die Verurteilten entsetzlichen Schmerz. Der Geruch von Blut zog sich durch das gräfliche Anwesen und der Tod lag in der Luft.
Zu den Attraktionen dieses Horrorfests zählten der Pranger und das Brandmarken. Am Pranger wurden Menschen gefesselt, um von den Besuchenden gepeinigt und gedemütigt zu werden. Anderen setzte man ein Brandzeichen auf die nackte Haut, um sie dem Schmerz und der andauernden Verachtung auszusetzen. Am 14. Juli 1803 waren sechs Frauen und sechs Männer dieser Schmach ausgesetzt.
Die größte Aufmerksamkeit erregte jedoch das Schafott. Es wurden immer mehrere Menschen hingerichtet, bis zu zehn Verurteilte an einem Tag. An jenem Julitag wurden vier Männer hingerichtet. Drei erwartete die Enthauptung mit dem Schwert, was als mildere Strafe angesehen wurde. Die härtere Variante war der Galgen, was einem Mann beschieden war. Beides erfolgte an jenem Tag.
Die Verurteilten wurden separat angekarrt. Zur Seite hatten sie jeweils einen Mönch und eine bewaffnete Eskorte sorgte für den reibungslosen Ablauf. Der Scharfrichter brauchte an diesem Tag drei Schläge, um den ersten Mann vom Leben zum Tode zu befördern. Die anderen, die dasselbe Schicksal erwartete, wussten nun auch, dass sie voll der Schmerzen aus dem Leben scheiden würden.
Auf diesen Todesfesten konnten die Scharfrichter ihr Diplom machen, ausgestellt durch den Reichsgrafen persönlich. Dies war zuletzt nur noch in Oberdischingen möglich, weshalb auch die Gehängten anschließend geköpft wurden. Mit der französischen Besatzung wurde nämlich auch die Todesstrafe abgeschafft.
Der Verbrecherjäger, der Malefizschenk, war in seinen Tagen berühmt und berüchtigt. Er hatte viele Feinde unter den Malefizbuben, die nicht selten auf Rache aus waren. Einige haben es auch versucht!
Eines Abends wurde der Graf per Kutsche von einem Ball nach Hause gebracht. Der Weg von Ulm nach Oberdischingen führte an einer Richtstätte, einem ummauerten Galgen, vorbei. Dort lauerten ehemalige Insassen des Zuchthauses Oberdischingen dem Schenken auf. Das Quartett war durch einen österreichischen Soldaten ergänzt worden, der Fahnenflucht begangen hatte. Aus seiner Hand mag die Granate geflogen sein, die in der Kutsche des Schenken landete. Sie explodierte, als der Schenk bereits aus dem Wagen gesprungen war. Die Kutsche war nur leicht demoliert, sodass der Schenk und sein Kutscher wieder aufsprangen und schießend davonfuhren. Ein Schuss, so wurde es überliefert, traf einen der Angreifer. Der Schenk entkam auf schnellen Hufen.
Abermals auf dem Heimweg, in dieser Geschichte von Sigmaringen kommend, stellten sich ihm drei Malefizbuben bei Krauchenwies in den Weg. Der Kutscher stoppte das Gespann aus Angst, der Schenk aber befahl dem Kutscher weiterzufahren. Wo der Kutscher keinen Weg sah, trat der Malefizschenk auf den Kutschbock und gab den Pferden die Peitsche. Doch das wegelagernde Trio nahm die Zügel der Pferde. Der Schenk zog seinen Hirschfänger, einen langen Dolch, blank und brüllte, sie sollen sich zum Teufel scheren. Derart eingeschüchtert nahm das Trio Reißaus.
Ein andermal, es war eine Überlandfahrt, lauerten drei gewitzte Burschen dem Schenken auf. Einer übernahm die Zügel der Pferde und zu beiden Seiten näherte sich jeweils ein Mann der Kutsche. Der Schenk sprang aus dem Wagen und überwältigte einen der Männer. Mit vorgehaltener Waffe nahm er sie ungeachtet des Herrschaftsgebiets gefangen und richtete sie in Oberdischingen.
Der Malefizschenk hatte einige Spitzel in seinen Diensten und diese berichteten eines Tages von einer Hochzeit in Laupheim. Dort sollte ein langgesuchtes Ganoventrio tanzen. Der Schenk und seine Häscher machten sich auf den Weg und fanden sie tatsächlich auf besagter Hochzeit vor. Mit dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite wurden sie Zweien habhaft. Doch der Dritte entkam durch das Fenster im zweiten Stock. Der Schenk sprang hinterher und beide landeten auf einem Misthaufen. Der Delinquent wollte weiter, doch der Schenk bekam ihn am Gürtel zu fassen. Alle drei wurden ins Zuchthaus nach Oberdischingen gebracht.
Als die Kirche in St. Gallen ausgeraubt wurde, fand man schnell einen Schuldigen. Der Mesmer wurde verurteilt und hingerichtet. Doch ein Todeskandidat in Oberdischingen prahlte mit dem Coup in St. Gallen. Der Schenk setzte sich energisch dafür ein, dass der Unschuldige ausgegraben und in heiligen Boden bestattet wurde. Auch die Witwe erhielt eine kleine Rente.
Als die französischen Truppen unter Napoleon im Land waren, standen sie im Verdacht, das Kloster Einsiedeln von Gold und Silber beraubt zu haben. Der Verdacht entsprach dem Vorurteil, denn in Frankreich wurden die Kirchen enteignet und das Geld dem Volk zugesprochen. Das sah man im katholischen Oberland, trotz der grassierenden Armut, mit Argwohn. Doch tatsächlich beging die Bande um den sogenannten ‚Tiroler Seppel‘ die Tat. Er und seine Männer versteckten sich bis zur Nacht im Kloster. Als die Mönche schliefen, bedienten sie sich am reichen Schmuckwerk der Kirche und flohen unbehelligt in die Nacht. Sie teilten die Beute auf und alle gingen ihrer Wege.
Der Tiroler Seppel legte sich nach dem Kirchenraub eine gefälschte Identität zu und verdingte sich als Kramer auf Märkten, wo er auch den Kirchenschmuck verhökerte. Inzwischen sogar verheiratet, lebte er ein geregeltes Leben. Doch der Verkauf von klösterlichem Silberschmuck erregte Aufmerksamkeit in Oberschwaben.
Eines Tages kehrten die zwei Häscher des Schenken, Lauterbacher und Bayreuther, im ‚Weißen Adler‘ in Biberach ein. Nach dem Essen stellte sich der eine auf die Straße und stopfte sich eine Pfeife. Rauchend beobachtete er das Treiben. Ein großer und feingekleideter Mann fiel dem Verbrecherjäger auf. Der Mann und seine Frau begingen in dem Gasthaus Tauffeierlichkeiten. Dem Lauterbacher kam der Mann irgendwie bekannt vor, weshalb er hineinging und sich nach Feiernden erkundigte. Die Antwort des Gastwirts war, dass es sich um einen Silberhändler handelte. Er sei ein guter Mann, beteuerte der Wirt. Der Mann konnte sogar den fürstlich-buchauischen Herrn von Ochs als Taufpaten für sein Kind gewinnen.
Der Häscher beschrieb den Gesuchten, den Tiroler Sepp. Der Wirt musste eingestehen, dass die Beschreibung auf den Silberhändler passte. Der Häscher ging zum Landesherrn von Pflummern und erwirkte einen Haftbefehl. Bei der Gefangennahme gab sich der Tiroler Sepp unschuldig. Erst mit dem Eingreifen des Häschers bekannte er, der gesuchte Sepp zu sein. Selbst einst ein Verbrecher, konnte der Lauterbacher den Tiroler Sepp überführen. Ihm wurde noch erlaubt, sich von seiner Frau zu verabschieden. Er tröstete die Mutter seines jungen Kindes mit der Lüge, er sei in wenigen Tagen wieder da. Tatsächlich ging er am 1. Dezember 1791 aufs Schafott.
In der Hoffnung auf Gnade verriet er noch zuvor einen Mittäter. Pater Birbo war ein geflohener Franziskanermönch. Auch er lebte als Rechtsanwalt ein ehrbares Leben, und zwar in Wangen im Allgäu. Zunächst verweigerte man die Verhaftung im Unglauben an dessen Identität, doch schließlich gab man dem Drängen nach. In Ketten wurde Pater Birbo nach Oberdischingen überstellt und nutzte jede Pause für Unschuldsbekundungen. Gerade bei Geistlichen fand sein Klagen Gehör, wenngleich der Pfarrer in Bad Wurzach recht perplex erschien. Womöglich redeten einige Geistliche auf die Häscher ein, die wiederum dem Schenken zuredeten, dass der Birbo ein recht sturer Mann sei. Man würde ihm nichts entlocken können. Außerdem konnte man ihn als Mann der Kirche nicht hinrichten. Dem Malefizschenken kam ein Auslieferungsgesuch aus Ingolstadt gerade recht. Es ist nicht überliefert, was ihm dann widerfahren ist.
Einige frühere Bekanntschaften des Malefizschenken rächten sich an seinem Hab und Gut. Das Lustschloss in der Nähe von Bach bei Dischingen lag mitten im Wald. Derart abgelegen brachen jene Rachsüchtigen in das Gemäuer ein und kleideten sich neu ein. Im Anschluss verwüsteten sie alles – sie zerschmetterten das Mobiliar und zerschnitten die Stoffe und Betten. Sie wären wohl davongekommen, hätte sie der Schenk nicht gesehen, wie sie mit seinen Hosen neben der Straße in Richtung Ulm gelaufen wären. Der Schenk bereiste jene Strecke an diesem Tag mit seiner Kutsche. Ohne sie zu entlarven, ließ er sie zunächst auf freiem Fuß. Die beiden Hosendiebe wussten derweil genau, dass die Karosse des Malefizschenken gerade an ihnen vorbeifuhr. Dieser informierte die Wachen am Tor. Als die beiden Malefizbuben das Gögglinger Tor in Ulm passieren wollten, wurden sie von den Stadtwachen festgesetzt. Auch sie wurden nach Oberdischingen überstellt.
Zuletzt, die Befugnisse des Schenken schränkte der König von Württemberg ein, ging ein anderer Spitzbube der Rache nach. Er setzte das Schloss des Schenken in Oberdischingen so gewissenhaft in Brand, dass es bis auf die Grundmauern niederbrannte. Der Schenk selbst musste dann in sein eigenes Gefängnis ziehen, das als einziges noch stand.
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