Pogrom gegen Juden in Ravensburg 1430

Antisemitismus im Mittelalter. Im Jahr 1430 werden jüdische Mitmenschen hingerichtet und ihr Geld eingezogen. Der Vorwurf: ein ritueller Kindermord.

Im späten Mittelalter hatten sich die Machtverhältnisse etwas verschoben. Die ersten Reformisten, wie Jan Hus, mussten Bekanntschaft mit der harten Hand verkrusteter Strukturen machen. Die Hinrichtungsart der Verbrennung war in jenen Tagen gebräuchlich. Auch der Adel wurde langsam herausgefordert, wenn auch auf eine andere Art. Ein Adelstitel bot enorme Vorteile, aber nur wenn auch entsprechend viel Geld vorhanden war. Ohne Geld musste man auf Ausschweifungen und Luxus verzichten. Und besonders der Krieg war mit hohen Ausgaben verbunden. Selbst die höchsten Adelshäuser waren hoch verschuldet und nicht selten bei den reichen Kaufleuten. Diese stellten die neue Elite dar, die in strategisch wichtigen Städten den Handel dominierten.

Grüner Turm Ravensburg
Grüner Turm Ravensburg: Wo das jüdische Viertel begann.

Die Reichsstadt Ravensburg war eine dieser wichtigen Städte auf dem Handelsweg von vor allem Nord nach Süd. Hier saßen einige Patrizierfamilien, die bekannteste unter ihnen ware die Familie Humpis. Die Stadt war durch die Patrizier recht wohlhabend, das betraf aber weniger seine Einwohnenden. Während die „Große Ravensburger Gesellschaft“ über 300.000 Goldgulden verfügte, war der größte Teil der Bevölkerung recht arm. Die Unterschicht, die 90 Prozent der Bevölkerung ausmachte, bezahlte den Luxus von Adel und Kirche. Auch sie machten Schulden, um das zu finanzieren. Die Abhängigkeit zu den Grundherren von Adel oder Kirche und deren hohen Abgaben zwang so manche Bauernfamilie in die Leibeigenschaft.

In den Städten konnte man zum Geldverleiher gehen. Das machten auch jüdische Geschäftsleute. Ob das mit dem Zins-Verbot im Christentum zu tun hat, ist nicht abschließend geklärt. Es gab eine starke Verbindung zwischen der jüdischen Gemeinde in Ravensburg und Lindau. Und dort am Bodensee gab es nachweislich jüdische Geldverleiher. Auch der Abt Montfort von St. Gallen stand bei den Verleihern in der Kreide. Die jüdischen Geldverleiher sollen weniger Zins genommen haben, als es die christlichen Geldverleiher taten und wofür sie sich den kirchlichen Segen erteilen ließen. Nicht nur im Bankwesen, auch im Handel waren jüdische Familien erfolgreich. Die jüdischen Familien waren im 14. Jahrhundert angesehene Bürger ihrer jeweiligen Stadt. Das zeichnet sich auch darin aus, dass sie im Stadtrat vertreten waren. Die Schiffbarmachung der Schussen soll auch auf ihre Ideen zurückgehen. Mussten sie einen Eid schwören, so taten sie das auf den Tanach. Das zeugt von Akzeptanz der jüdischen Religion in Lindau und Ravensburg.

Zur absoluten Schieflage des spätmittelalterlichen Vermögens in der Gesellschaft kam im 14. Jahrhundert die Pest ins Land. Im Jahr 1348 erschütterte dazu ein Erdbeben nicht nur die Erde, sondern auch den Glauben der Menschen. Angestiftet von klerikalen Extremisten, die sich auf Verschwörungsgeschichten beriefen, wurde die jüdische Gemeinschaft dafür verantwortlich gemacht. Die Geschichten verfingen durch Volksverhetzungen und Hassreden und sie wirkten. Im gesamten süddeutschen Raum wurde Jagd auf die jüdische Bevölkerung gemacht.

Im Mittelalter war es üblich, dass die maximale Vertragslänge bis zum Tod andauert. Stirbt einer der Vertragspartner, ist der Vertrag nicht mehr justiziabel. Deshalb musste jeder neue König die Rechte neu vergeben. War der Gläubiger tot, so sind auch die Schulden weg. Das galt für die Bürger einer Stadt genauso wie für den Adel und erklärt, warum man dagegen nicht einschritt.

Der Pogrom von Ravensburg 1430

Im Jahr 1425 ist der Tod des Juden Aaron aus Ravensburg in den Urkunden vermerkt. Er wurde von einem Murat von Meersburg misshandelt, ermordet und schließlich beraubt. Über diesen Murat ist nur herauszufinden, dass er einen Wald zwischen Hagnau und Meersburg besaß. Er wurde für den Mord von der Stadt Ravensburg bestraft und akzeptierte das Urteil, in dem er von Rache absah. Der Fall offenbart bereits den Antisemitismus, der sich aus Hass und Hetze verfestigt hat. Die Verschwörungsgeschichten brachten die Menschen auf. Die Lügen von Brunnenvergiftungen machten die Runde. Erneut flammte der Antisemitismus in Oberschwaben auf. Es gab zahlreiche Übergriffe auf jüdische Familien. Eine dieser Verschwörungsgeschichten war der Auslöser für eine Gewaltorgie, wie sie 50 Jahre später auch die Frauen als vermeintliche Hexen erfasste.

Am zweiten Mai 1428 feierte die jüdische Gemeinschaft in Ravensburg eine Hochzeit. Die einzige Tochter des Ravensburger Juden Eleazar heiratete einen nicht genannten Juden, der ebenfalls aus Ravensburg stammte. Eleazar, der in den Akten auch in der latinisierten Form als Lazarus genannt wird, war sehr wohlhabend. Womit er sein Geld machte, ist nicht überliefert. Die Hochzeit war offenbar eine große Feier, denn die gesamte jüdische Gemeinschaft aus der Region reiste zu dem Fest an. Die Gäste waren Familien aus Buchhorn (Friedrichshafen), Konstanz, Lindau, Meersburg, Memmingen und Überlingen. Das Fest verlief wohl ohne jegliche Probleme.

Am selben Tag kam es zu einem Mord an einem Kind: Ludwig Etterlin aus Brugg bei Zürich. Sein genaues Alter ist nicht aktenkundig, aber er war Schüler auf dem Gymnasium in Ravensburg. Seine Leiche wurde kurze Zeit darauf von einer Schar Kinder gefunden, die in den Wald nach Vogelnestern suchten. Das Suchen der Nester war eine Möglichkeit der armen Bevölkerung, sich mit zusätzlichen Proteinen zu versorgen. Es handelte sich derart um Kinder ärmerer Haushalte, die ihren Klassenkameraden fanden. So kann man beim Toten auch von ärmlichen Verhältnissen ausgehen. Die verstümmelte Leiche des Kindes hing im Baum. Die Geschichte vom Kindermord im Wald bei Ravensburg verbreitete sich wie das Feuer auf Benzin. Die sterblichen Überreste des jungen Etterlin wurden hinter dem Hochaltar der Stadtpfarrkirche Ravensburg beigesetzt.

Wer der oder die Mörder sein sollen, darüber schossen die Spekulationen schnell ins Feld. Den Verdacht auf die jüdische Bevölkerung zu lenken, gelang auch dem anderen Verdächtigen Nikolaus Knoll. Knoll war von Beruf Fuhrmann und seine bewährte Route führte ihn an der Stelle vorbei, wo man den Jungen im Baum hängen fand. Dieses Knolls wurde man dann in Überlingen habhaft. Im Verhör sagte er, er sei im Angesicht des Leichnams geflohen. Er fürchtete, man würde ihn der Tat bezichtigen, würde er es zur Anzeige bringen. Dem war aus verständlichen Gründen tatsächlich so.

Knoll wurde „peinlich befragt“, was bedeutet, er wurde gefoltert. Während der Folter gab er dann an, er wäre von den Juden beauftragt worden, den Leichnam zu entsorgen. Schnell wurde man der Familie des Eleazar habhaft und stellte sie vor das Gericht in Ravensburg. Die Anklage zeugt von den Vorwürfen, die der mutmaßliche Täter,Nikolaus Knoll, unter der Folter von sich gab.

Der junge Ludwig Etterlin habe mit Kindern der Hochzeit gespielt. Sie hätten ihn mit auf das Fest gebracht. Als Eleazar Ludwig sah, soll er ihn in die Küche gebeten haben. Der Junge möge ihm helfen, den Braten zu wenden. Dieser Punkt zeugt davon, wie sich der mutmaßliche Mörder eine solche Hochzeitsfeier von reichen Juden vorstellte. Nun soll also der Plan gereift sein, den Jungen zu töten und sein Blut aufzufangen. Zusammen mit zwei anderen jüdischen Mitverschwörern, Anselm und Mofes, sollen sie dem Kind die Augen und den Mund mit einem Schleier verbunden haben. Sie sollen ihn nackt auf einen Tisch gelegt haben, um ihn mit Messerstichen ausbluten zu lassen. Das Blut, so der mittelalterliche Glaube, würde zu hohen Feiern getrunken werden. Warum Blut?, hat offenbar niemand hinterfragt. Auch ein Nutzen daraus wird nirgends dargestellt. Genau so wenig wird geschildert, woher Knoll die Namen der Betroffenen kannte. Hatte er auch ihre Waren schon befördert? War Eleazar so reich und bekannt? Und die Erwähnung der Nacktheit zieht die Frage nach sich, ob das Opfer nackt gefunden wurde. Das könnte den Blick für das tatsächliche Motiv schärfen.

Den leblosen Körper habe man, so der Fuhrmann Knoll, unter die Treppe gelegt. Im Schutz der Dunkelheit soll ein Anselm ihn dann im Sack über die Schulter geworfen und aus der Stadt gebracht haben. Dort habe Knoll den Leichnam gegen klingende Münze entgegengenommen, um ihn zu entsorgen. Im Wald soll er die Leiche in den Baum gehängt haben, um den Anschein zu erwecken, das Kind hätte sich selbst aufgehängt. Oder es wären andere Mörder am Werk gewesen. Die Blutarmutsgeschichte könnte auch dem Fehlen einer Blutspur oder Blutspuren aus der Stadt dienen.

Der Fuhrmann Knoll beendete sein Leben beim Rädern. Diese qualvolle Todesstrafe war meist Dieben und Mördern vorbehalten. Waren die Gerichte überzeugt, den Täter gefunden zu haben? Wann er hingerichtet wurde, ist unklar. Derweil zog die vermeintliche Schuld der Juden immer weitere Kreise, bis die Hetze schließlich in offenen Hass umschlug. Im Januar 1430 erließ der König ein Geheiß, in dem erklärt wurde, dass nur er die Juden im Reich richten dürfe. So beauftragte König Sigmund den Landvogt Truchsess Jakob von Waldburg mit der Untersuchung. Ihm zur Seite stellte er den Ertinger von Seinsheim. Warum dies erst so viel später erfolgte, geht nicht aus den Akten hervor.

Die Städte sollten dem Landvogt Folge leisten. Die Reichsstädte bekamen von ihrem Dienstherrn, dem Kaiser, eine Anordnung. Doch Ravensburg und Lindau weigerten sich zunächst. Der Landvogt war ein mittelalterlicher Gegenspieler für die Stadt. Er trieb Gelder ein und kümmerte sich ums Grobe. Die Reichsstädte sahen sich frei von solchen Gebaren. Im April 1430 gaben Lindau und Ravensburg nach und lieferten ihre jüdischen Mitbürger dem Landvogt aus.

In der Geschichte des Hauses Waldburg steht, dass Jakob das Verhör und die Bestrafung der Juden sehr beansprucht hat. Der Truchsess ließ alle jüdischen Familien, die auf der Hochzeit waren, gefangen setzen. Nicht nur die von Ravensburg, sondern auch in Konstanz, Lindau, Überlingen, Buchhorn (Friedrichshafen) und Meersburg. Die gesamten Sippen standen unter Mordverdacht. Der königlich beauftragte Jakob von Waldburg bedachte sie mit Folterungen, was zum gewünschten Ergebnis führte. Sie gestanden den Kindermord. Auf diese Weise täte der Ermordete Ludwig Etterlin noch Wunder im Tod, so soll der Volksmund gesprochen haben, indem er die Ressentiments vermeintlich belegte.

Die Strafe für den Kindermord war die Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen und wurde am 4. Juli 1430 vollzogen. Eleazar, Anselm und Mofes wurden geknebelt und „mit dem Haupte unter sich“ durch die Gassen Ravensburg gekarrt. Am Richtplatz wurden sie mit glühenden Metallzangen bearbeitet. Anschließend wurden sie gerädert und noch lebendig verbrannt. Das Urteil wurde auch in Lindau und anderen Städten ausgesprochen. Ihr Vermögen zog der König höchstpersönlich ein.

Tatsächlich überlebten einige jüdisch Gläubigen aus Ravensburg den Blutrausch. Ein Herr Aaron und seine Frau Blümli mussten sich scheiden lassen, aber ihre Güter wurden eingezogen. Sie, wie auch die nachfolgenden Personen büßten ihre Unschuld mit einer Gefängnisstrafe in Ravensburg. Der Mann Mosse, seine Frau Rächli und ihr Sohn Jakob wurden danach noch Bürger von Ravensburg. Ysach wurde Bürger in Konstanz. Doch der Friede währte nur kurz. In Ravensburg erging 1439 ein Erlass, dass nie mehr Juden und Jüdinnen in der Stadt leben sollten.

Noch bis ins 16. Jahrhundert gab es immer wieder Übergriffe auf jüdische Gemeinschaften. Die kaiserliche Schutzhand der jüdischen Bevölkerung verkaufte Maximilian I., was weitere Pogrome nach sich zog. Damit war jüdisches Leben bis ins 19. Jahrhundert weitgehend aus Oberschwaben verschwunden. Nur in Bad Buchau am Federsee überlebte die jüdische Kultur länger.

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